Wir leben in einer Zeit des Wandels. Technologie entwickelt sich rasend schnell weiter, sodass Gendaten öffentlich verfügbar werden, mit Folgen für die assistierte Fortpflanzung im Ganzen. Die Wahrnehmung von Spenderinnen und Spendern sowie der Familien, die deren Dienste in Anspruch genommen haben, verändert sich in Öffentlichkeit und privaten Umfeld seit zehn Jahren zusehends. Außerdem haben viele Spenderkinder mittlerweile ein Alter erreicht, in dem sie Fragen zu ihrer Herkunft stellen. Auch die Ratschläge, die Eltern erhalten, haben sich geändert, da wir mittlerweile mehr über die wissenschaftlichen und psychologischen Hintergründe und Begleiterscheinungen der Keimzellspende wissen. Aus all diesen Gründen besteht nunmehr das Risiko, dass öffentliche DNA-Testregister den eigenen Status als Spender/-in oder Spenderkinder offenlegen.
Um den Dialog aufzunehmen, organisierte das aus Sozialwissenschaftler*innen bestehende „Reconfiguring Donor Conception“-Netzwerk einen Stakeholder-Workshop, der im April 2022 in Kopenhagen stattfand und an dem Kinderwunschkliniken, Keimzellspender/-innen, Eltern, Spenderkinder, Keimzellbanken und Forschende teilnahmen. Im Nachgang der Veranstaltung wurde eine Fragen- und Punkteliste erstellt.
Lesen Sie hier die vollständige Studie
Der Workshop sollte folgende Fragen klären:
- Wie wirken sich Technologien wie Gentests, aber auch Online-Foren auf die Anonymität in Verbindung mit gespendeten Keimzellen aus?
- Welche Schwierigkeiten, aber auch Möglichkeiten ergeben sich in Hinblick auf die Keimzellspende, wenn neue Technologien zum Einsatz kommen?
- Kann die Keimzellspende in Zukunft verantwortungsvoller aufgestellt werden?
Konflikt und Unterstützung
Die Beziehung zwischen dem/der Spender/-in, den Eltern und dem Spenderkind ist kompliziert und kann zu verschiedensten Interessenkonflikten führen. Manche Spenderkinder möchten mehr über ihre biologische Herkunft erfahren, obwohl sich die Eltern für eine anonyme Spenderin bzw. einen anonymen Spender entschieden hatten. Manchmal hat sich die Gesetzgebung in Hinblick auf die Anonymität seit der Geburt des Kindes aber auch geändert. So kann es sein, dass sich Eltern Sorgen um die körperliche und emotionale Gesundheit ihres Kindes machen, wenn sie damals nur deshalb einen anonymen Spender oder eine anonyme Spenderin gewählt hatten, da es nicht anders ging. Ähnliche Probleme ergeben sich, wenn ein/-e Spender/-in den eigenen Status von „Anonym“ zu „Nicht anonym“ ändern möchte und die nationale Gesetzgebung dies erlaubt. Wie wirkt sich dies auf die Eltern von Kindern aus, die mithilfe dieser Spender/-innen zur Welt gekommen sind? In einigen Fällen wird vor den Kindern geheim gehalten, dass sie mithilfe einer Spende gezeugt wurden. Dies wurde Eltern bis in die 2000er hinein sogar ausdrücklich geraten. Nun legen neue Erkenntnisse aber nahe, dass das Geheimhalten der Spende den Kindern stärker schadet als die anonyme Spende an sich, da sie die Eltern der Spenderkinder in eine schwierige Lage bringt.
Das Internet bietet Menschen einen Raum, um sich auszutauschen und zusammenzukommen. In verschiedenen Foren und Gruppen kann man sich zu den eigenen Erfahrungen als Spenderin oder Spender bzw. Spenderkind oder Eltern von Spenderkindern austauschen. In diesen Foren sprechen die Teilnehmenden auch über die eigenen moralischen und persönlichen Zwiespalte und Konflikte. Diese Gruppen werden von Betroffenen ins Leben gerufen, allerdings ohne jede behördliche oder professionelle Aufsicht. Dadurch sind die Möglichkeiten, anderen zu helfen, beschränkt.
Außerdem sind Spender- und Behandlungsregister oft in nationalen oder Unternehmensarchiven unter Verschluss. Dies trifft besonders die Eltern, die sich aufgrund gesetzlicher Beschränkungen einer Kinderwunschbehandlung mit einer anonymen Spende im Ausland unterzogen haben, und nun keine rechtliche Handhabe haben, mehr über ihren Spender bzw. ihre Spenderin zu erfahren. Derzeit gibt es keine zentrale Anlaufstelle, an die sich Interessierte wenden könnten, um Kontakt zueinander aufzunehmen. Der Prozess wird dadurch kompliziert oder gar undurchführbar, selbst wenn alle Beteiligten den gleichen Wunsch haben.
Offene DNA-Daten in einer sich wandelnden Gesellschaft
Das Aufkommen öffentlich zugänglicher DNA-Tests und -Register wirft in Situationen, in denen die biologische Herkunft nicht eindeutig oder gar verborgen ist, neue Fragen auf. Zum einen ist die Anonymität von Spenderinnen und Spendern in Gefahr, zum anderen die Privatsphäre von Spenderkindern und ihren Familien.
Moderne Technologien eröffnen einen Fächer an Problemen, an die vor wenigen Jahrzehnten noch niemand gedacht hat. Die Menschen um die Spenderinnen und Spender, die Eltern und die Spenderkinder werden alleine gelassen mit der Frage, wie im Fall der Fälle mit der Offenlegung umzugehen wäre. Denn diese könnte gravierende Auswirkungen auf das Leben von allen Beteiligten haben. Derzeit gibt es jedoch kein Netzwerk, das die nächsten Angehörigen unterstützen könnte, mit den zu befürchtenden Folgen. Auch dieses Problem ließe sich lösen, wenn die Parteien bei der Kontaktaufnahme zu Ärztinnen und Ärzten bzw. medizinischem Fachpersonal unterstützt werden würden.
Entscheidungen für die Zukunft
Die Workshop-Teilnehmenden waren sich 2022 einig, dass ein unabhängiges internationales Online-Register nötig sei, um den Bedürfnissen der an der Keimzellspende beteiligten Menschen gerecht zu werden. Dies sollte einhergehen mit einem System zur professionellen Unterstützung, inklusive Zugang zu Beratung und aktuellen Informationen zu den sich ständig ändernden Richtlinien auf diesem Gebiet. Ob Eltern, Kind oder Spender/-in … die Fäden, die die Beteiligten verbinden, werden nicht mit der Geburt des Spenderkindes durchtrennt. Es ist eine Entscheidung fürs Leben, in jeglicher Hinsicht.
Da die Realität bei Kinderwunschbehandlungen international ist, gestaltet sich die Einrichtung eines solchen Registers schwierig. Es müssten Vereinbarungen zwischen Staaten, Kliniken, Keimzellbanken und den einzelnen autorisierten Gesundheitspersonen über das Bereitstellen von Informationen getroffen werden. Mehrere der genannten Parteien müssten für die lebenslange Anleitung und Unterstützung der Beteiligten zur Verfügung stehen. Um ein solches Projekt erfolgreich zu gestalten, wären große gemeinsame Anstrengungen vonnöten. Außerdem ist es weiterhin unklar, wer für die Aufsicht über dieses Unterstützungssystem infrage käme. Dennoch sollte an einer solchen Vereinbarung gearbeitet werden. Letztlich geht es in der Kinderwunschbranche vor allem um eines: die Entwicklung und das Wohlbefinden von Spenderinnen und Spendern sowie von Spenderkindern zu fördern.